Das Medium 'formuliert', die Form 'figuriert'. Medium, Form und Figur im intermedialen Verfahren.

Joachim Paech

Meine Damen und Herren,
eigentlich möchte ich Ihnen nur einen kleinen Film zeigen und mit Ihnen darüber sprechen, warum ich ihn für ein besonders interessantes Beispiel intermedialer Verfahren im Film halte. Der Film aus dem Jahr 2008 von Barbara Hlali hat den Titel ‚Painting Paradise’. Wie sie später sehen werden, wurde in diesem Film dokumentarisches Material aus dem Irak von ihr übermalt, so dass eine neue Aussage im Sinne des Filmtitels entstanden ist. Derartige Verfahren, Film und Malerei zu verbinden, hat es zumal im Umkreis der Avantgarden immer wieder gegeben, ohne dass von Intermedialität gesprochen wurde. Walter Ruttmann zum Beispiel, der in seinen ersten Filmen etwas Ähnliches gemacht hat, sprach „von einer ganz neue(n) Kunst. Nicht etwa ein neuer Stil oder dergleichen. Sondern eine allen bekannten Künsten verschiedene Ausdrucksmöglichkeit, eine ganz neue Art Lebensgefühl in künstlerische Form zu bringen, ‚Malerei mit Zeit’.“1 Eine künstlerische Praxis, die Malerei, wurde mit dem Film um einen die Grenzen der Malerei überschreitenden Faktor, die Zeit, erweitert und zu einer gänzlich anderen, neuen Kunst als Ausdruck einer neuen Zeit erklärt. Warum sprechen wir von Intermedialität, wo Ruttmann eine neue Kunst geschaffen hat? Und was heißt hier ‚Intermedialität’, wenn es sich bei ‚Painting Paradise’ nicht einmal mehr um ‚Film’, wie ihn Ruttmann in seiner materialen Konsistenz zugrunde gelegt hat, handelt, sondern um elektronisch aufgezeichnete analoge oder sogar digitale Bewegungsbilder, die in der Verbindung mit Malerei – und was heißt hier ‚Malerei’? – etwas Neues ergeben, was ich Ihnen als digitale Aufzeichnung von einer DVD vorführen werde. Während Ruttmanns Verfahren des bemalten Zelluloids durchaus als ‚intermediales’ Verfahren der Verbindung zweier materialer künstlerischer Praxen anzusehen wäre, von ihm aber synthetisierend als neue Kunst deklariert wird, lässt der Film von Barbara Hlali wesentliche Voraussetzungen dafür vermissen, von einer Beziehung zwischen den ‚Medien’ Film und Malerei sprechen zu können, wenn man darunter ganz konkrete materiale Grundlagen für unterschiedliche künstlerische Verfahren versteht: Wäre nicht die Rede von einer neuen ‚digitalen Kunst’, wie sie im Computer entsteht, viel angemessener?   
Das zeigt m.E., dass man noch immer nicht oder sogar immer weniger, je mehr analoge durch digitale Verfahren abgelöst werden, voraussetzungslos von ‚Intermedialität’ sprechen kann. Ich werde daher zunächst zu begründen versuchen, warum gegenwärtig und in welchem Kontext ich den Begriff ‚Intermedialität’ zu verwenden gedenke. Ähnliches gilt für ‚Intermedialität als Verfahren’, in dem Formprozesse beobachtbar sind, die von einer Ebene der Figuration zu unterscheiden sind. Anschließend komme ich noch einmal auf die Praxis der gemalten oder übermalten Filme zurück, die ich schließlich zu meinem Beispiel ‚Painting Paradise’ von Barbara Hlali in Beziehung setzen möchte.

I.
Ich gehe davon aus, dass (diskursgeschichtlich) die Rede von der ‚Intermedialität’ als Beobachtung und Beschreibung für Repräsentationen im kulturellen Umfeld erst neueren Datums ist, seit in einem umfassenderen Sinne von ‚Medien’ gesprochen wird und es folgerichtig auch zu einer ‚Medienwissenschaft’ gekommen ist. Medium (z.B. im okkultistischen Sinne) oder ‚intermedia’ (als künstlerische Strömung der Moderne) hat es auch vorher schon gegeben – Intermedialität im aktuellen semantischen Feld ‚Medium’ ist neu. Wenn Ruttmann die Verbindung von Malerei und Film in den 1920er Jahren synthetisierend als neue Kunst bezeichnet, dann war das genau die Ebene, auf der die neue Verbindung traditioneller und technisch-apparativer Verfahren angeordnet werden konnte, um ihr künstlerisch Geltung zu verschaffen. Ein Film wie ‚Lichtspiel Opus 1’von 1921  mit der Musik von Max Butting mit seinen rhythmisch schwellenden farbigen Formen konnte nur als Werk seines Autors wahrgenommen und künstlerisch ernst genommen werden. Als Werk zielt es auf eine neue Einheit, die in den traditionellen Ordnungssystemen (Kunstgeschichte, Katalog etc.) identifizierbar ist. Während der Film als Massenware sich der Kunst mit ihren kulturellen Barrieren deutlich entzog (und heute auch zu 80% verschollen ist), hat sich der Film mit kulturellen Ansprüchen, die auch von der Literatur geborgt sein konnten, bemüht, als Kunst und Werk in einem Ordnungssystem wahrgenommen zu werden, in dem die Abgrenzung, also ausdrücklich die Differenz zwischen den Werken ihre Identität garantiert. Dieses traditionelle Begehren der Kunst hat dem Film Anerkennung verschafft und das Überleben in seinen besonderen Werken mit entsprechender Signatur (Titel und Autorennamen) ermöglicht (während alle anderen Filme in der Regel zerstört und z.B. als Schuhcreme recyceled wurden).

Der Film im Kontext der traditionellen Darbietungsform Theater, im Film’theater’ also, hat seiner Wahrnehmung als Kunst Vorschub geleistet. Das neue Leit’medium’ seit der Mitte des 20.Jahrhunderts, das Fernsehen (auch das Radio), hat eine neue Eigenschaft mitgebracht, seine netzförmige Struktur als Massenmedium. In ihr haben die Künste, sofern sie als kulturelle Ereignisse auf Information und Öffentlichkeit angewiesen sind, ihren neuen Ort gefunden. Die Wahrnehmung der Kunst ist wie das Medium, das sie darstellt, netzförmig, ihre gemeinsame Struktur ist der Text, ihr ‚Material’ sind Zeichenrelationen. In den 1960er bis 1980er Jahren ist es der Text, vom singulären Text bis zur universellen Textualität der Kultur, der die Anschlüsse unter den kulturellen Ausdrucksformen strukturiert. Intertextualität beschreibt sowohl die Beziehung zwischen Literatur und Film als auch zwischen Filmen und Fernsehprogrammen, in denen sie inzwischen überwiegend erscheinen. Bevorzugtes Paradigma der textuellen Beziehungen ist die Narration, die Anschlüsse bis zur Psychoanalyse gewährleistet; problematisch in diesem Kontext bleibt die Bildlichkeit des Films, die, wie die Metapher im literarischen Text, in intertextuellen Beziehungen fremd bleibt oder störend wirkt, weil sie offensichtlich quer zur bloßen Textualität anders begründet und angeordnet ist. Die ‚große Syntagmatik’ der bedeutendsten semiotischen Filmtheorie dieser Epoche von Christian Metz hat i.S. einer Grammatik sequenzielle Raum-, Zeit- und Handlungseinheiten angeordnet, nicht jedoch die Elemente, die sichtbar und hörbar den Raum ausmachen, die Zeit füllen und die Handlung vor allem in der Zwischenzeit zwischen den Räumen jenseits von Fabel und Sujet verorten. Die Beobachtung intertextueller Beziehungen auf der universellen Ebene der Zeichenrelationen konnte auf ideale Weise die Arbeit jedweder Texte an ihren Bedeutungen ‚lesbar’ machen; was ihr vollständig entging, war die materiale Spezifik der Textgenerierung oder der Anteil nicht-semiotischer Voraussetzungen an der Generierung von Formen, die erst im Netz ihrer Verbindungen textuell relevant wurden. Anfang der 1980er Jahre hat dann das Wort von der ‚Medienvergessenheit’ der Texte die Runde gemacht. Wir sind endgültig im Medienzeitalter angekommen. Wenn von nun an kulturelle Phänomene hinsichtlich ihrer medialen Eigenschaften beurteilt werden, dann macht das ihre semiotische oder textuelle Betrachtung nicht überflüssig, relativiert sie jedoch und reduziert ihre Relevanz auf bestimmte Bereiche (z.B. die Narrativik, die immer noch textuell sinnvoll behandelt wird). Gegenüber dem Allgemeinen ’intertextueller’ Beziehungen (Text soll für Filme, Literatur, Fotografien etc. derselbe sein) betont die Beobachtung ihrer ‚Intermedialität’ die Besonderheit der für die Generierung der jeweiligen Formen und ihrer Relationen untereinander vorausgesetzten medialen Eigenschaften, die sie in ihrem Zusammenwirken unterscheidet.
Ein Beispiel mag diese Verschiebung veranschaulichen. Für die intertextuelle Analyse von Filmen spielte es keine Rolle, ob der Film im Kino projiziert wurde oder im Fernsehen gesehen oder per Videorecorder analysiert wurde, der Unterschied bedeutete lediglich ein intensiveres Eindringen in die textuelle Struktur des Films per Videorecorder. Eine intermediale Analyse muss sich dafür interessieren, dass (analoger) Film im Kino nicht derselbe ist wie im Fernsehen oder auf VHS, geschweige denn DVD. Die fotografische Hervorbringung filmischer Formen des Bewegungsbildes kehrt elektronisch nur scheinbar wieder, nämlich als bloße Form, die in ihrem neuen Medium reformuliert dennoch ganz andere Verbindungen mit Formen anderer medialer Hervorbringung eingehen kann, als das beim fotografischen Film der Fall ist. Auf der Ebene der Intermedialität wird der Einfluss medialer Differenz auf die beobachtbaren Formprozesse hervorgehoben, was gegenüber der Horizontalität textueller Beziehungen (die ebenfalls Tiefenstrukturen kennen) die Betonung vertikaler Verbindungen und Schichtungen bedeutet. Palimpsestartige Figuren medialer Schichten werden wiederum in Bildern und ihren Verbindungen deutlicher als in bildlosen Texten. Es ist paradox und doch symptomatisch, dass ausgerechnet unter der Dominanz des universellen Mediums des Computers, der jede mediale Form ohne Rekurs auf ein anderes generierendes Medium darstellen kann und nur Formprozesse kennt, die mediale Differenz ‚als Form’ im intermedialen Verfahren eine so besondere Rolle spielt. Andererseits wird auf diese Weise das intermediale Verfahren als Formprozess auf kulturelle Phänomene im engeren Sinne festgeschrieben. Wir werden kaum die Verbindung von einem Flugzeug und einem Schiff im ‚Flugboot’ intermedial beschreiben, sondern von einer hybriden Technik sprechen. Die Fotografie eines Flugbootes in einem Roman über die Luftfahrt würde dagegen einem intermedialen (ebenso einem intertextuellen) Verfahren entsprechen. Das entsprechende Buch (hardware) hätte, wenn es verfilmt würde, nichts mit Intermedialität zu tun, wohl aber das Literarische der Vorlage (software), das unabhängig vom Thema im Film mehr oder weniger deutlich reformuliert und was die Fotografie betrifft, sogar auf der Oberfläche des Films wiederholt werden kann.

Was bedeutet es, vom ‚intermedialen Verfahren’ als einem Formprozess zu sprechen, wenn doch der Verweis auf das Mediale gerade die Einbeziehung medialer, meist auch materialer Eigenschaften der Hervorbringung von Formen meint?
Medien sind Mittel zum Zweck. Sie sind niemals als sie selbst, sondern im anderen, das sie ermöglichen und von dem aus sie erst ‚lokalisiert’ werden können, bestimmbar. Medien, sagt Niklas Luhmann2, sind in den Formen, die sie ermöglichen, beobachtbar, weil sie auf der ‚anderen Seite’ der Form wiederum als (zweiseitige) Form beobachtet werden können: Als mediatisierte Form und als Form ihres Mediums, was ihre grundsätzliche Reflexivität zur Folge hat. Medien sind keine Objekte, sondern Bedingungen oder Möglichkeiten ihrer Formprozesse und deren Beobachtung. Daraus folgt die „Einsicht, dass die Unterscheidung von Medium und Form selbst eine Form ist – eine Form mit zwei Seiten, die auf der einen Seite, auf der Form-Seite, sich selbst enthält.“ Das bedeutet also, „dass die Unterscheidung in sich selbst wieder eintritt, in sich selbst auf einer ihrer Seiten wieder vorkommt.“3 Diese reflexive Konstruktion des Medium/Form-Verhältnisses versuche ich dadurch zu verdeutlichen, dass ich diese Seite der in sich wiederholten Form ‚Figur’ und den Prozess ihrer Formulierung ‚Figuration’ nenne. Im Unterschied zur Form, in der sich das Medium ‚formuliert’, operieren Figuren von vornherein auf der Formseite des Mediums. Man kann also sagen, dass das Medium Formen ermöglicht, in denen es einerseits anschaulich wird und wo auf der anderen Seite der Form diese sich als diese oder jene Figur unterscheidet. Die Form bleibt auf das Medium bezogen, das sie formuliert (ähnlich der Gestalt im Verhältnis zum Grund in der psychologischen Gestalttheorie). Die Figur ist auf die Form bezogen, die sich im Prozess der Figuration differenziert (in diesem Sinne ist die Form auch wieder Medium der Figur, vgl. Kippfiguren). Eine der Figuren in diesem Prozess ist der Vorgang reflexiver Formbildung selbst. Mediale Formprozesse können auf diese Weise selbst in der Figuration ihres Verfahrens anschaulich werden (ästhetisch) werden. Intermedialität als Verfahren ist daher als eine bestimmte Figur(ation) medialer Formprozesse zu beschreiben, nämlich als Wiederholung oder Wiedereinschreibung eines Mediums als Form in die Form eines (anderen) Mediums, wo das Verfahren der Intermedialität ‚figuriert’, also anschaulich wird und reflexiv auf sich selbst als Verfahren verweist.  
Der in diesem Zusammenhang verwendete Begriff ‚Verfahren’ stammt von den russischen Formalisten aus den 1920er Jahren. Dort bedeutet Verfahren in der Kunst (Sklovskij4), dass alle Elemente, die zur Konstruktion von Bedeutung beitragen, so eingesetzt werden, dass sie auf sich selbst ‚als Verfahren’ zurückverweisen, zum Beispiel als Verfahren der Verfremdung, wodurch die eingesetzten künstlerischen Mittel selbst kenntlich werden. So kann die diskursive Ebene der Kontinuität und Kausalität, die unmittelbar transparent zur ‚lesbaren’ Bedeutung ist, durch figurale Elemente wie Metaphern unterbrochen werden, die den Zugang zur Bedeutung erschweren und zunächst auf sich selbst als ‚Figuren’ der Rede verweisen. Verfremdung (ostranenie) und erschwerte Form (zatrudnenie) sind zwei Verfahren, mit denen literarisch oder filmisch (auch in allen anderen Künsten, zum Beispiel auf dem Theater Bertolt Brechts) die Elemente sichtbar gemacht werden, die zur jeweiligen Konstruktion von ‚lesbarer’, ‚sichtbarer’ etc. Bedeutung eingesetzt werden und die mitgelesen oder mitgesehen werden müssen. Man kann derartige Verfahren durchaus als ‚Stil-Figuren’ bezeichnen, wenn sie z.B. zu einem ‚erschwerten Stil’ beitragen. Als Stilfiguren sind sie isolierbar und als Figuren eines literarischen oder filmischen (etc.) Verfahrens beschreibbar.
Intermedialität als Verfahren der Literatur, des Films oder kultureller Hervorbringungen überhaupt beruht auf einem Formprozess, in dem sich die beteiligten Medien ‚formulieren’ und auf einem Prozess der Figuration, in dem die Intermedialität selbst als eine Figur u.a. beobachtbar und beschreibbar ist. Intermedialität habe ich als Wiederholung oder Wiedereinschreibung a. eines (anderen) Mediums als Form in b. die Form eines (anderen) Mediums definiert, als eine mediale Konstellation also, in der a. dasselbe oder ein anderes Medium als Form (oder Formulierung) in b. demselben oder einem anderen Medium als Form wiederkehrt. Diese Wiederholung auf der Formseite des Mediums ist das reflexive ‚intermediale Verfahren’, das als ein figuraler Prozess beschrieben werden kann, wenn die figurale Ausdifferenzierung der Formseite reflexiv auch das Verfahren selbst als eine Figur enthält. Es handelt sich dann um eine besondere (reflexive) Figur, die auf sich selbst verweist und daher als Störung im Formbildungsprozess erfahren wird, der in der Regel seine (medialen und auch formalen) Voraussetzungen unsichtbar macht.

II.
Um diesen Vorschlag für die Beschreibung von ‚Intermedialität als Verfahren’ anschaulicher zu machen, möchte ich mich auf Beispiele aus der Filmgeschichte beziehen, die zur intermedialen Konstellation ‚Malerei und Film’ gehören. In diesem Zusammenhang wird dann ‚Painting Paradise’ von Barbara Hlali mein zentrales Beispiel sein.
Die Beziehung zwischen Malerei und Film beginnt eigentlich schon mit der Konkurrenz der Malerei zur Fotografie. Beide, das künstlerische und das technische Abbildungsverfahren, sind am Ende des 19.Jahrhunderts mit dem Bewegungsbild, der bewegten Abbildung von Bewegung, konfrontiert. Die Fotografie wird zum Bestandteil dieser neuen kinematographischen Technik, während die moderne Malerei im Futurismus, Kubismus etc. eigene, medienspezifische Möglichkeiten der Darstellung von Bewegung sucht. Diese beiden Tendenzen verbinden sich auf der Seite des Films in den Filmen der verschiedenen Avantgarden der 1920er Jahre, dem ‚absoluten Film’ oder ‚cinéma pur’, wozu auch Ruttmanns ‚Opus 1’ gehört, von dem schon die Rede war oder den Filmexperimenten des Bauhauses (Moholy-Nagy) etc. In diesem Kontext ist das Verhältnis von Malerei und Film explizit Thema, die Malerei will sich im Film ‚als Malerei in Bewegung’ fortsetzen, während der Film die Malerei für die Dominanz des Visuellen (gegen das Narrative) in Anspruch nimmt. Darüber hinaus hat der Film intermediale Beziehungen immer dann gesucht, wenn bestimmte Ansprüche durch die Kinematographie selbst nicht befriedigt werden konnten, der mangelhafte Film bei anderen Medien (!) Mittel zur Vervollkommnung ausborgen musste. Das betrifft den Ton in der Kombination mit dem Phonographen, bis die Tonspur unmittelbar Bestandteil des Films wurde. Und das betrifft die Farbe5, die dem Film so lange hinzugefügt wurde, bis der Farbfilm von vornherein über eigene Techniken der Wiedergabe einer bunten Wirklichkeit verfügte. Jedesmal wurde die Kombination unterschiedlicher Medien oder künstlerischer Verfahren immer dann als eine eigene Figur ihres intermedialen Verfahrens hörbar oder sichtbar, wenn die Synchronisation von Phonograph nicht gelang oder die kolorierten Filme mehr Farbrauschen als farbige Bilder enthielten. Die Kolorierung der frühen Stummfilme wurde am filmischen Fliessband mühsam mit der Hand aufgetragen, später durch ein Maskenverfahren und Viragierungen industrialisiert. Bis dahin war jedoch der Farbauftrag von der Figur, die eingefärbt wurde, zu unterscheiden, Farbe und dargestellte Figur wollten nicht verschmelzen, die Intermedialität zwischen beiden medialen Seiten Film und Malerei wurde als Verfahren (Kolorierung) wiederum zu einer reflexiven Figur, in der das Verfahren figuriert und beobachtbar ist und so lange als Störung empfunden wurde, bis es heute einen eigenen ästhetischen Reiz ausmacht. Um es mit der bekannten Formel zu beschreiben: Das Medium (Film) formuliert sich in der kinematographischen Form des projizierten Bewegungsbildes, das wiederum figural differenziert erscheint und in das die Form eines anderen Mediums, der Malerei, als Farbauftrag eingefügt ist. Es ist deutlich, dass auf der figuralen Ebene die Synchronisation beider Formen ihrer Medien nicht gelingt, was zur Figuration der Beziehung, also Beobachtung des Misslingens als Figur (Rauschen, Störung) Anlass gibt, wo das intermediale Verfahren der Verbindung zwischen Malerei und Film zu einer eigenen Figur wird.
In einem zweiten Beispiel sehen Sie einen Ausschnitt aus einem Film von Len Lye, einem amerikanischen Avantgardefilmer. Len Lye hat direkt mit Farbe auf den transparenten Rohfilm gemalt (es gibt in anderen Filmen auch Übermalungen von bestehenden dokumentarischen Filmaufnahmen). Langgezogene Farblinien und Formen, die Bild für Bild mit Masken auf den Film übertragen wurden, wechseln sich im musikalischen Rhythmus ab. Die Intermedialität von Malerei und Film (und Musik) figuriert nicht mehr im Film selbst als Störung aus unvollkommener Synchronisation beider medialer Formseiten, der Film strebt vielmehr eine neue Synthese aus Malerei und rhythmischer Bewegung an. Die (gewollte) Differenz liegt in der Beziehung zur generellen Vorstellung vom ‚Medium Film’ in der Form des fotografischen Bewegungsbildes zur malerischen Visualisierung abstrakter Farb’klänge’ im Film von Len Lye.
Beispiele: Salomes Tanz (Messter) und Len Lye

In beiden Fällen wurde die Farbe direkt auf das Filmmaterial aufgetragen, das heißt das intermediale Verfahren der Einfügung einer ‚anderen’ medialen Form (der Malerei) in eine vorausgesetzte mediale Form (des Films) hat hier handwerklich funktioniert, die Materialität als mediale Eigenschaft beider Formen (Film und Farbe) drückt sich in der Figur der intermedialen Konstellation aus. Allerdings ist das von Len Lye erarbeitete ‚Original’ noch nicht der Film, der vorgeführt werden kann. Eine wesentliche Eigenschaft des kinematographischen Mediums ist, als Licht- und Bewegungsbild projiziert zu werden. Von dem bemalten Film muss eine optische Kopie hergestellt werden, die im materialen Sinne nur noch ‚Film’ ist und von der Malerei nur die Form ihrer medialen Voraussetzungen behalten hat. Als Form verweist das Gemalte auf den medialen Prozess der Malerei zurück. In der Projektion auf der Kinoleinwand sind schließlich nur noch ‚Lichtbilder in Bewegung’ zu sehen, die sich der medialen Form verdanken, in denen die Malerei intermedial ‚figuriert’.

Tatsächlich gesehen haben Sie allerdings die elektronische Projektion (Beamer) digitaler Datensätze, die von einem Computerprogramm codiert auf einen digitalen Datenträger, eine DVD, gebrannt und von dort abgerufen und als Video programmiert wiedergegeben wurde. Alles, was von den materialen Eigenschaften der vorausgesetzten Medien Film und Malerei geblieben ist, sind Formen, in denen diese Eigenschaften nur noch zitiert wiedergegeben werden. Die Form, in der das Medium Film erscheint, ist jedoch eine andere, spezifische, im Verhältnis etwa zum rein digitalen Bewegungsbild, weil sie auch die medialen Eigenschaften, denen sie sich verdankt, u.a. die apparative Mechanik und Fotochemie, mit formuliert, Eigenschaften, die wiederum digital als bloße Formen wiederholt werden können, mit denen ‚Film’ im digitalen Medium ‚figuriert’. So wird in hochauflösenden digital produzierten Filmen das Filmische als mediale Form dadurch wieder hergestellt, dass bestimmte mediale Eigenschaften des fotografischen Films ‚reformuliert’ werden wie Unschärfen durch Körnung oder unvermeidliche mechanische Abweichungen in der apparativen Filmprojektion etc.6 Auf diese Weise entsteht die Anmutung eines kinematographischen Films in seiner digitalen Computerproduktion.
Auf dieser Ebene interessant sind Filme, die von vornherein graphische mit kinematographischen medialen Formen im Prozess der digitalen Konstruktion des Bewegungsbildes verbinden. Während ein Film wie ‚Who Framed Roger Rabbit?’ (1988) die Verbindung von Animations- und Realfilm noch weitgehend mit analogen Verfahren bewerkstelligte, wird heute fast jeder Film aus Computergraphik für Trickaufnahmen und Realfilm zusammengesetzt. Anders als bei ‚Roger Rabbit’, wo die unorganische Verbindung zweier unterschiedlicher medialer Formen als Figuration ihres intermedialen Verfahrens nicht nur beibehalten wurde, sondern für die Ästhetik des Films wesentlich ist, wird in der Regel des fotografisch realistischen Films versucht, die computergraphischen Anteile in ihrem realistischen Effekt zu verbergen. Sie funktionieren, wenn man sie nicht sieht oder nur erahnt, weil die Dinosaurier in ‚Juressic Park’ nun mal nicht auf derselben medialen Ebene wie die Gruppe von Menschen fotografisch ‚verfilmt’ werden konnten.
In den letzten Jahren sind vermehrt Filme in die Kinos gekommen, deren ästhetischer Reiz wesentlich von ihrer graphischen Anmutung bestimmt wird, zumal wenn gezeichnete Medien wie Comics in ihren Formen zitiert werden. In den meisten Fällen handelt es sich um digital überarbeitete Realfilme, zum Beispiel in ‚Sin City’ (Robert Rodriguez, nach einem Comic von Frank Miller, 2005) oder Filmen von Richard Linklater. Auch hier entstehen in der Kombination einer fotografischen mit einer (computer-)graphischen medialen Form Figurationen ihrer Intermedialität, besonders dort, wo trotz der graphischen Anmutung fotografisch-realistische Figuren und Bewegungen erkennbar bleiben. Linklater hat seinen Film ‚Waking Life’ (2001) komplett mit Hollywood-Stars wie Ethan Hawke und Julie Delpy gedreht, bevor er den Film computergraphisch überarbeitet hat. Die fotografische Voraussetzung bleibt erkennbar, zumal wir aus Erfahrung wissen, dass reine Computeranimationen gegenüber fotografisch-realistischen Bildern, wenn sie das Anspruchsniveau definieren, noch immer unvollkommen bleiben. Ich zeige Ihnen den zweiten Anfang nach dem Filmtitel des Films von Richard Linklater ‚Waking Life’ (2001), der die Filmmusik am Beginn des Films im Bild thematisiert (selbstverständlich eine intermediale Figur!).
Beispiel: Richard Linklater: Waking Life (2001)

Was bedeutet es für die Frage nach dem ‚intermedialen Verfahren’, wenn die Verbindung von Film (Kinematographie) und Malerei nur noch mediale Formen zitiert, um sie für einen visuellen Effekt in Beziehung zu setzen, ohne dass noch auf die tatsächlichen medialen Voraussetzungen zurückgegriffen wird? Fotografischer Film, Malerei, Farbe sind nur mehr reine Datenkombinationen, deren codierte Anordnung in Programmen das auf einer Oberfläche sichtbar (und hörbar) macht, was schließlich als malerisch überarbeiteter Film erkennbar ist. Kann man noch von Inter’medialität’ sprechen, wenn ‚Medien’ nur noch als Formen ihrer digitalen Programme verfügbar sind? Ich glaube, dass man Jens Schröter recht geben muss, wenn er sagt: „Intermedialität, wie wir sie heute verstehen, weiss um die Simulierbarkeit jeder Form medialer Eigenschaften durch ihre digitale Programmierung. Sie rekonstruiert in einer symbolischen Darstellung Formen, die auf das Zusammenspiel unterschiedlicher Medien, die sich in ihr formulieren, verweisen. Ein Film zum Beispiel transportiert auch dann noch Formen der medialen Eigenschaften von Fotografie und Mechanik der Kinematographie, wenn er zum Beispiel im Fernsehen  elektronisch projiziert oder gar mit Video elektronisch produziert und digital auf DVD aufgezeichnet worden ist; zugleich übernimmt er Eigenschaften dieser neuen medialen Umwelt, die er ebenso formuliert.“7 (Paech/Schröter, 10) Gleiches müsste auch für die Malerei gelten, wenn sie digital mit einer ebenfalls digitalisierten Filmaufzeichnung verbunden wird. Das folgende Beispiel einer digitalen Einfärbung eines schwarz/weiß gedrehten Films kann das, glaube ich, sehr schön verdeutlichen. Es handelt sich um den Prolog zu Luis Bunuels ‚Un Chien Andalou’(1928), der gegen die heftigen Proteste der Filmpuristen im Computer zu einem Farbfilm gemacht wurde. Tatsächlich wirkt die Farbe hier sehr ‚malerisch’, ihr ist der Ursprung im Computer deutlich anzusehen, zugleich ist die Einfärbung eines schwarz/weißen Films wie zwei unterschiedliche Modalitäten erkennbar. Diese Differenz kann durchaus als Figuration eines intermedialen Verfahrens angesehen werden, in dem beide Medien, Film und Malerei, in Formen ihrer Eigenschaften formuliert werden.
Beispiel: Luis Bunuels ‚Un Chien Andalou’(1928)

Zum Schluss komme ich nun zu meinem eingangs bereits angekündigten Beispiel ‚Painting Paradise’ (2008) von Barbara Hlali. Der Kurzfilm ist auf  dem diesjährigen ‚European Media Art Festival’ in Osnabrück mit dem Experimentalfilmpreis des Verbandes der deutschen Filmkritik ausgezeichnet worden. Die Regisseurin nimmt Medienberichte zum Anlass, die „zeigen, wie die Mauer, die das Schiiten-Viertel in Bagdad umgibt, mit schönen Landschaften übermalt wird: Ästhetische Gestaltung wird eingesetzt, um militärische Maßnahmen und Kriegsauswirkungen zu kaschieren. Ähnlich verfahre ich im Film mit der Gesamtsituation: Bilder aus Krisengebieten sind mit Farbe überdeckt, verändert, verschönert. Eine trügerische Idylle entsteht, die angesichts der realen (Kriegs-)Situation jedoch nicht aufrecht zu erhalten ist. Die Übermalung entlarvt umgekehrt gerade die übermalte Situation.“8 Das Ausgangsmaterial ist die elektronische Video-Aufzeichnung von Medienberichten aus dem Irak. Dabei spielt es keine Rolle, ob die dokumentarischen Bilder analog (VHS) oder digital (DVD) vorliegen, weder hier noch dort können die Bilder wie auf dem Zelluloidstreifen direkt mit Farbe in traditioneller Maltechnik ‚übermalt’ werden. Bleibt die Überarbeitung per Computergraphik wie im Fall des ‚Chien Andalou’. Barbara Hlali hat jedoch Wert darauf gelegt, dass zwischen Filmaufzeichnung und Farbe die ‚materiale Differenz’ erhalten bleibt, wie das bei einem Schichten-Verfahren der Fall gewesen wäre. Sie schreibt in einer Mail an mich: „Für mich ist es wichtig, das digitale Bild mit so einem sehr haptischen Medium zu überarbeiten. Mir ist diese Arbeitsweise sehr viel näher als digitale Überarbeitungen. Die Überarbeitung mit Pinsel und Farbe ist auch ungefilterter, direkter. Es ist für mich auch wie eine eigene Aneignung des vorgefundenen Videomaterials.“ Wie kann man digitale Bilder mit Pinsel und ‚echter Farbe’ übermalen? Ihr Verfahren beschreibt sie wie folgt: „Ich habe Videos in einzelne Standbilder zerlegt, diese jeweils für mehrere Sekunden auf eine DVD gebrannt und im Fernseher als Standbild laufen lassen. Dort habe ich direkt [mit Gouache-Technik] auf die Mattscheibe gemalt und jeweils ein Foto gemacht. Diese Fotos habe ich dann als Einzelbildanimation wieder zum bewegten Film gemacht.“ (Mail) Wenn man dieses Vorgehen im Rahmen einer Beschreibung als ‚intermediales Verfahren’ analysiert, dann zitieren die Standbilder die Einzelbildschaltung eines kinematographischen Films (allerdings stimmen die Kader eines Films nicht mit den elektronisch-digitalen Standbildern überein). Die mediale Form des Films verbindet sich in ihrer elektronischen Darstellung auf dem Bildschirm mit dem Vorgang der Malerei, die ebenfalls als mediale Form in der Übermalung ‚figuriert’. Deutlich ist die Übermalung als eine Figur der Beziehung beider medialer Formen erkennbar, was auch in der Absicht der Künstlerin gelegen hat. Die Differenz zwischen Gemaltem und Gefilmtem ist als ‚Figur’ sichtbar, die auf den im Film gezeigten Vorgang der Übermalung der vom Krieg zerstörten Wirklichkeit Bagdads verweisen soll. Wischt man die Farbe auf den Bildern weg, dann kommt die Realität des Krieges ungeschminkt zum Vorschein, vorbeilaufende Männer in bunten Hemden entpuppen sich als Soldaten in Kampfanzügen. Zwischen dem Ausgangsmaterial der Videoaufzeichnung und dem Resultat des aus Einzelbildern animierten Films gibt es den Zwischenschritt über die Fotografie, auch das ein Formzitat eines Mediums, das als Element zu den Eigenschaften des kinematographischen Films gehört und Grundlage jeden Animationsfilms (z.B. zwischen Zeichnung und projizierbarem Film) ist.
Das intermediale Verfahren kann also in dieser Abfolge beschrieben werden: Dokumentarische filmische Bewegtbilder in elektronisch-digitaler Aufzeichnung (Film als bloßes Formzitat) werden in einzelne unbewegte Standbilder zerlegt und auf einem Monitor reproduziert. Es entsteht für jedes Bild eine Oberfläche, die weniger mit dem Zelluloidstreifen, sondern mit der Leinwand, auf die ein Film projiziert wird, vergleichbar ist, wo ebenfalls Bild und Oberfläche unverbunden bleiben. Diese Oberfläche des Monitors wird mit jedem Bild neu bemalt, fotografiert, das Bild wechselt, die Übermalung  muss zumindest in Teilen abgewischt, verändert oder erneuert werden. In jedem Fall bleibt die Differenz als die (auch argumentativ) entscheidende ‚Figur’ des Verfahrens erhalten. Diese Figur resultiert aus der jeweiligen Kombination der medialen Formen von Film und Malerei. Sie kehrt im fertigen, reanimierten Film als Figuration des intermedialen Verfahrens wieder und kann so auf die im Ausgangsfilm dargestellte Übermalung der Realität bezogen werden. Erst die Figur der Differenz zwischen den medialen Formen macht das Verfahren auch diskursiv, indem es zu einer symbolisierenden Rede des Films über die dargestellte dokumentarische Realität wird. Die Differenz als Figur funktioniert wie eine Störung im Bild, so, wie der figurale Diskurs seinerseits zum gestörten Diskurs wird (Lyotard: Discours/figure). Ich zeige Ihnen jetzt zum Schluss den Film und hoffe, dass wir danach über den Film als Beispiel seines besonderen intermedialen Verfahrens werden sprechen können.
Beispiel: ‚Painting Paradise’ (2008) von Barbara Hlali