Zur Ausstellung Shiny Dark Clouds

Anna Sophia Schultz, 2009

Auszug aus der Eröffnungsrede der Ausstellung „Shiny dark clouds“ in der Galerie Anita Beckers, Frankfurt

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Shiny dark clouds lautet der Titel der Ausstellung, in der sich Barbara Hlali und Christiane Feser auf sehr unterschiedliche Weise mit dem medialen Bild auseinandersetzen.

Die Videoarbeit Busayyah von Barbara Hlali ist benannt nach der Wüstenstadt Busayyah, in deren Nähe ein kurdisches Massengrab gefunden wurde.
FAZ.net berichtete von diesem Fund wie folgt:
„Aus einem Massengrab bei Bussia wurden in den vergangenen vier Wochen 560 Leichen geborgen. Auf dem Rollfeld des Flughafens Arbil werden sie nach ihrer Rückkehr in den Norden aufgebahrt. 560 einfache Holztische stehen aufgereiht, eingehüllt in weißes Leinen….“

Und auf der Webseite poolalarm findet sich folgende Meldung:
„Die Männer gehörten dem kurdischen Barsani-Clan an, der sich während des Irak-Iran-Krieges auf die Seite des persischen Feindes stellte. Die Rache Saddams an der Zivilbevölkerung für diesen "Verrat" war gnadenlos. 8000 kurdische Männer wurden 1983 in den Süden des Irak verschleppt und dort ermordet. Rund um Bussia fand eine kurdische Kommission, die das Schicksal ihrer entführten Landsleute untersucht, jetzt die Massengräber der Verschleppten.“

Hlalis Arbeit besteht nicht, wie man vielleicht erwarten würde, aus dokumentarischen Bildern, sondern zeigt eine symbolische Handlung.

Nach einer kurzen Sequenz, die den Fundort zeigt, sind zwei Hände zu sehen, die ein Blatt Papier falten und verschnüren. Das Papier ist unbeschrieben, es ist allein Material, ganz so, als hätten die Worte angesichts ihrer Aufgabe den Dienst quittiert.
Die entstehende Leerstelle wird zur Projektionsfläche für ein zweites Bild, das Bild eines Skeletts. Die Zeichnung, eine einfache Strichzeichnung, scheint von Hand auf den Bildschirm gekritzelt zu werden.
Zuletzt wird die Hand selbst zum Material, sie wird gebunden, verschnürt und mit der Zeichnung überzogen. Der Übergriff des Skeletts auf die lebendige Hand und das Abschnüren der Finger steigern die Unmittelbarkeit des Bildes.

In den siebziger Jahren experimentierten Videokünstler mit der Bildschirmoberfläche. Douglas Davis beispielsweise bemalte den Monitor scheinbar mit schwarzer Farbe bis er dahinter vollends verschwand und der Betrachter sich mit einem schwarzen Bildschirm konfrontiert sah. Oder er legte seine Hand, Wange oder Brust an den Monitor und forderte den Betrachter auf, es ihm gleich zu tun und über diese scheinbare gegenseitige Berührung nachzudenken.
Diese Versuche zielten auf ein Durchbrechen der Einwegkommunikation, die dem Massenmedium Fernsehen eigen ist. Sie wollten den Betrachter aus seiner Passivität und seiner Position als Konsument befreien und ihn dazu bewegen, die Bedingungen des Mediums und dessen Einfluss zu reflektieren.

Hlalis Arbeit spricht eine völlig andere Sprache und dennoch mag das Sichtbar-Machen des Bildschirms durch die Zeichnung eine ähnliche Reflexion des Mediums und des medialen Bildes bedeuten.  
Dem Fernsehbild, das insbesondere durch die Eingangssequenz aufgerufen wird, stellt Barbara Hlali zwei Bilder gegenüber: den symbolischen Akt des Faltens und Bindens und die Zeichnung eines Skeletts, universelles Bild des Todes. Statt der Abbildung wählt sie das Zeichen, statt der Beweiskraft des dokumentarischen Bildes die unmittelbare Eindringlichkeit des Symbols.

Wie ein Pendant der Videoarbeit wirkt die monumentale Zeichnung einer Pistole, die direkt auf die Wand des Ausstellungsraumes gesetzt ist. In abstrahierender Weise variiert sie das Motiv einer der kleinformatigen Zeichnungen, die als dichte Gruppe präsentiert sind.
Die Pistole der Marke ‚desert eagle’ scheint kopfüber in einer Wüstenlandschaft zu schweben. Die eng gesetzte Schraffur und der klare Umriss setzen sie hart gegen ihre Umgebung ab. Wie ihr Namensgeber schwebt die Waffe über der menschenleeren Einöde und setzt assoziative Bezüge in Gang.
Seit der Antike gilt der Adler als Symbol für Macht und Sieg, er verkörpert Erhabenheit und Freiheit. Diese grundsätzlich positiven Konnotationen wenden sich durch den lesbaren Markennamen der Pistole, der eben diese Attribute beschwört, ins Bedrohliche.
Im kleinformatigen Pendant der Zeichnung nimmt der Adler im Schatten der Pistole Gestalt an. Er wird zur schemenhaften Verkörperung einer Bedrohung, die durch die Inschrift auf der Pistole konkret und aktuell wird.
Inmitten der Gruppe kleinformatiger Zeichnungen befindet sich eine Projektion, die zwischen dem bewegten und dem unbewegten Bild steht und das Motiv der Pistole abermals aufnimmt.
Auf das Bild füllende Foto einer Wüstenlandschaft wird eine Pistole gelegt und in drei Teile zersägt. Zwei der drei Teile beginnen zu flattern und lassen die Pistole in die Tiefe des Bildausschnitts fliegen. Die in den Zeichnungen nur anklingende Beziehung von Adler und Pistole wird hier durch ihre Identität offenbar.
In der langen Schlusssequenz wiederholt sich das Bild der Anfangssequenz, nun allerdings mit ganz anderer Aufladung.

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Der Vogel gilt seit jeher als Träger unzähliger Bedeutungen und war damit immer auch Symbol und archetypisches Bild. So galt er als Sittenhüter, als Sinnbild der Himmelfahrt, als Verkünder des göttlichen Willens oder als Personifikation von Fieberdämonen.
Bekanntes Beispiel aus der Filmgeschichte ist Alfred Hitchcocks Film ‚Die Vögel’, der den Vogelschwarm als feindliches Kollektiv und dunkle Macht inszeniert.

Neben der Wandzeichnung zeigt Hlali eine Auswahl teils gerahmter kleinformatiger Zeichnungen, in denen das Motiv des Vogels immer wiederkehrt. Er fliegt auf, stürzt herab, gewinnt im Schwarm ornamentalen Charakter oder entschlüpft dem Mund eines Menschen.
Immer sind die Vögel weniger konkrete Erscheinung als mehr Symbol einer positiven oder negativen Kraft. In zarten Bleistiftstrichen verkörpern sie die Leichtigkeit oder Hoffnung des Aufschwungs, in dicken tiefschwarzen Linien mit erhobenen Fängen künden sie von Gefahr und Vergänglichkeit.
Ihre symbolische Aufladung wird durch die übrigen Zeichnungen der Gruppe betont, die die Thematik der hier gezeigten Filme in geschlossene Bilder fassen. Das Skizzenhafte dieser Zeichnungen und die bildbestimmenden Slogans verleihen ihnen eine besondere Vehemenz und Nachdrücklichkeit.

Die Videoarbeit Painting paradise von Barbara Hlali nutzt erneut das Verfahren der Videomontage um eindringliche und unmittelbare Bilder für politische Krisensituationen zu schaffen.
Medienberichte aus Krisengebieten werden überblendet mit gemalten Bildern. Die reinen Farben scheinen direkt auf den Bildschirm aufgetragen und zeichnen in rascher Bildfolge Details der Medienbilder nach. Diese Eingriffe lenken die Wahrnehmung.

In der Anfangssequenz sind lediglich die Palmen in klarem Grün nachempfunden, so dass das Exotische des Ortes in den Vordergrund rückt und Sehnsuchtsphantasien wach ruft. Im Verlauf des Videos weitet sich die Übermalung auf Personen, Fahrzeuge und andere Bildbereiche aus.
Die unterlegte elektronische Musik signalisiert einen Zustand bedrohlicher Anspannung.
Im folgenden weist die Bildfolge kurze Aussetzer auf, in denen die Originaldetails wie Phantombilder aufscheinen. Bewaffnete Männer, Uniformen, Verwundete enttarnen das Geschehen als kriegerisches, das Flackern der schnellen Folge von Einzelbildern lässt an Detonationen denken.
Die Farbe löst sich von den Vorlagen der Medienbilder und entwickelt eine chaotische Eigengesetzlichkeit. Das nur schemenhafte, unheimliche Aufscheinen einer bedrohlichen Realität hinter den starkfarbigen Monitorbilder trifft uns unvorbereitet.
Unsere Unempfindlichkeit und Unempfänglichkeit gegenüber Medienbildern wird unterbrochen durch eine stärker empfundene als verstandene Beteiligung.

Der Trickfilm For a better world, ebenfalls von Barbara Hlali, löst sich ganz vom dokumentarischen Bild und nutzt die Möglichkeiten des frei erfundenen, gezeichneten Bildes.
Die narrativen Bildsequenzen kreisen um die Gewaltspirale als Ergebnis internationaler politischer Konflikte und die unmittelbaren Auswirkungen für die betroffenen Menschen. Dabei verschmelzen konkrete Beispiele von Gewalt und Unterdrückung mit metaphorischen Bildfolgen. Der Panzer, der unter Beschuss gerät und explodiert, wird zum flammend roten Tier, das den Schützen verschlingt.
Immer wieder taucht die Idee einer Verheißung auf, die sich als Verderben entpuppt, eines Geschenks, das sich als Hinterhalt erweist.

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Zugleich machen der typisierende Zeichenstil und der fortgesetzte Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt, eine Identifizierung von Tätern und Opfern zunehmend schwierig.
Die Bilder konkreter Gewalt sind durch den Zeichenstil, der auf Details verzichtet und Farbe nur zur Hervorhebung einsetzt, schonungslos und erschütternd. Sie machen die Perversion der Gewalttaten durch die zeichnerische Vereinfachung nur noch unbegreiflicher.

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Die Revolution, die sich gegen sich selbst richtet, ist das Thema einer dritten Videoarbeit von Barbara Hlali.
Eine vermummte Person läuft wie unvorbereitet gegen eine den weißen Raum begrenzende Wand. Was zunächst wie ein Zusammenstoß aussieht geht in einen vehementen Angriff über. Immer wieder prallt der Angreifer hart gegen die im Weiß des Raumes unsichtbare Wand.

Bei jedem Zusammenprall hinterlässt seine Kleidung einen schwarzen Abdruck auf der Wand, mit jedem Akt des Protestes erzeugt er einen stummen Anhänger.
Diese Abdrücke verdichten sich zusehends zu einer gesichtslosen Masse, die den Protestierenden selbst inkorporiert. Seine Gestalt geht unter in dem wachsenden Kollektiv, das er durch seine Angriffe selbst erzeugt hat. Schließlich resigniert er angesichts der zunehmenden Eigendynamik der Masse.
Das Bild bleibt denkbar abstrakt, es gibt nur den Einzelnen und das Kollrkziv, keine konkreten Protagonisten und keine identifizierbare Überzeugung.
Zuletzt wendet sich der Angreifer von der Wand ab und kehrt seine nun weiße Vorderseite der Kamera zu. Nachdem die individuelle Überzeugung in der Masse untergegangen ist, wird nun auch ihre Ausrichtung obsolet. Beinahe scheint es, als sei die Richtungsänderung die einzige verbliebene Möglichkeit der Abgrenzung.

Shiny dark clouds vermittelt als sprachliches Bild etwas von der Ambivalenz der hier anwesenden Bilder, die zwischen Faszination und Unbehagen, Leichtigkeit und Enthüllung ihren Platz behaupten.